Das große Missverständnis „Bestandsschutz“
Vom Erlöschen des Bestandsschutzes
Nicht jede bauliche Anlage genießt automatisch Bestandsschutz für alle Zeiten, nur weil sie vor Jahren oder sogar Jahrzehnten einmal errichtet wurde. Das ist oftmals ein Irrtum. Das Verwaltungsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 28.08.2023, Az. 1 K 172/23.KO, dem Betreiber eines durch die Flutkatastrophe im Ahrtal zerstörten Campingplatzes bei dem geplanten Wiederaufbau sein Missverständnis bei der Interpretation des baurechtlichen Bestandsschutzes aufzeigen müssen.
Wiederaufbau eines durch die Flutkatastrophe zerstörten Campingplatzes
In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 ereignete sich an der Ahr eine Flutkatastrophe mit verheerenden Folgen. Von den verheerenden Folgen war auch ein Campingplatz betroffen, der bereits seit 1969 betrieben wurde. Bei der Flut im Jahr 2021 sei das Gelände des Campingplatzes „völlig zerstört“ worden, hieß es in einer Mitteilung. Für den Campingplatz selbst hatte es nie eine Baugenehmigung gegeben; eine solche war nach damaliger Rechtslage auch nicht erforderlich. Auf dem Campingplatz existierten aber zwei Betriebsgebäuden, für die der Betreiber jeweils Baugenehmigungen erhalten hatte. Die Flutkatastrophe beschädigte diese zwei Gebäude. Vom Gelände der Stellplatzflächen wurde daneben der gesamte Oberboden weggeschwemmt.
Wiederaufbau brauche eine Baugenehmigung
Der Betreiber des Campingplatzes war mit Blick auf den Zustand der Betriebsgebäude der Auffassung, der Campingplatz genieße (noch) Bestandsschutz, sodass er ihn ohne Baugenehmigung wieder aufbauen könne. Der zuständige Landkreis Ahrweiler forderte dagegen eine Baugenehmigung. Ein etwaiger Bestandsschutz sei auf Grund der Zerstörung des Dachstuhls der Gebäude erloschen und die gebotene vollständige Erneuerung des Platzes stelle eine genehmigungspflichtige Baumaßnahme dar.
Abgrenzung zwischen Neuerrichtung und Instandsetzung
Das Verwaltungsgericht Koblenz bestätigte nun die Entscheidung des Landkreises mit Urteil vom 28.08.2023. Es lag allein am Bestandsschutz, dass der Campingplatz bis unmittelbar vor der Katastrophe zulässig gewesen sei. Nachträglich geänderte Anforderungen wie das Erfordernis einer Baugenehmigung spielten dann keine Rolle. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geht insoweit davon aus, dass eine Anlage, die in der Vergangenheit dem öffentlichen Baurecht entsprochen hat, aufgrund der Eigentumsfreiheit in ihrem Bestand geschützt ist – unter Umständen sogar selbst, wenn es nie eine Baugenehmigung gegeben hat. Instandsetzungsmaßnahmen an derartigen Anlagen sind grundsätzlich zulässig. Von einer Instandsetzung ist auszugehen, wenn die Identität der vorhandenen Anlage durch die beabsichtigten Baumaßnahmen noch gewahrt wird.
Campingplatz als Gesamtanlage
Im Falle des Campingplatzes sei jedoch zu bewerten, dass das Gelände durch das Wasser und Sedimente vollkommen zerstört worden sei. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Koblenz handele es sich bei dem geplanten Wiederaufbau des Betreibers nicht um eine bloße Instandsetzung zweier ursprünglich genehmigter Betriebsgebäude, sondern um eine Neuerrichtung des Campingplatzes insgesamt. Der Campingplatz sei als Gesamtanlage zu qualifizieren. Ein Bestandsschutz habe eben auch nur für den Betrieb des früheren Campingplatzes gegolten. Durch dessen Zerstörung sei der Bestandsschutz aber erloschen.
Fazit
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz unterstreicht eindrucksvoll die Grenzen des Bestandsschutzes und die oftmals auftretenden Missverständnisse in diesem Zusammenhang. Der Bestandsschutz gewährleistet, dass sich eine ursprüngliche legale Nutzung einer baulichen Anlage gegen neues entgegenstehendes Recht durchsetzt. Ist die ursprünglich nicht genehmigte bauliche Anlage aber untergangen, ist sie nicht mehr für die bisherige Nutzung offen und verliert damit den Bestandsschutz und damit regelmäßig ihre baurechtliche Existenzberechtigung. Eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes durch Wiederaufbau kann den Bestandsschutz grundsätzlich nicht wiederaufleben lassen. Letzteres hat auch der Betreiber des Campingplatzes im Ahrtal durch das Urteil des Verwaltungsgericht Koblenz vom 28.08.2023 leidvoll erfahren müssen.