Wer trägt das Sachverständigenrisiko?
Der Geschädigte verunfallt mit seinem Fahrzeug. Er lässt sein Fahrzeug von dem Sachverständigen seiner Wahl besichtigen und beziffert seinen Schaden auf Grundlage des Gutachtens. Die Sachverständigenkostenrechnung beziffert er gegenüber der gegnerischen Versicherung. Die Versicherung meint nun, die Sachverständigenkosten seien überhöht abgerechnet. Sie kürzt den Rechnungsbetrag. Aber was geschieht mit dem noch offenen Betrag? Unter welchen Voraussetzungen muss der Schädiger an den Geschädigten zahlen? Wann muss der Geschädigte beweisen, dass die vom Sachverständigen im Einzelnen abgerechneten Positionen allesamt erforderlich waren?
Letztlich ist das die Frage, wer das sog. Sachverständigenrisiko trägt – der Geschädigter oder Schädiger. Wer muss also beweisen, dass in der Sachverständigenkostenrechnung (keine) überhöhten Werte abgerechnet sind?
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Das hat der Bundesgerichtshof mit Entscheidung vom 12.03.2024 – VI ZR 280/22 judiziert. Dabei orientiert sich der Bundesgerichtshof an seinen Entscheidungen vom 16.01.2024 zum Werkstattrisiko:
Sachverständigenrisiko trägt der Schädiger:
Hat der Geschädigte die Sachverständigenkostenrechnung noch nicht gezahlt und verlangt er Zahlung der restlichen Sachverständigenkosten an seinen Sachverständigen Zug-um-Zug gegen Abtretung etwaiger (das Sachverständigenkostenrisiko betreffende) Ansprüche gegen seinen Sachverständigen an den Schädiger, so bleibt das Sachverständigenrisiko bei dem Schädiger.
Zeitgleich stellte Bundesgerichtshof klar, dass das dem Schädiger obliegende Sachverständigenrisiko nicht dazu führt, dass die Sachverständigenkostenrechnung völlig ungeprüft zu zahlen ist. Denn die Kosten der Begutachtung müssen unfallbedingt sein. Auch muss der Geschädigte nachweisen, dass er wirtschaftlich vorgegangen ist. Verlangt der Sachverständige bei Vertragsschluss Preise, die – für den Geschädigten erkennbar – deutlich überhöht sind, so kann sich das Beauftragen des Sachverständigen als nicht erforderlich erweisen. Das ist das sog. Auswahlverschulden. Neben dem Auswahlverschulden trägt der Geschädigte das sog. Überwachungsverschulden. Das liegt beispielsweise vor, wenn der Sachverständige von der Honorarvereinbarung abweicht oder deutlich erkennbar überhöhte Nebenkosten abrechnet. Hat der Geschädigte aber weder gegen das Auswahl-, noch gegen das Überwachungsverschulden verstoßen, greift das Sachverständigenrisiko.
Sachverständigenrisiko trägt der Geschädigte:
Hat der Geschädigte die Sachverständigenkostenrechnung noch nicht gezahlt und verlangt er in dem Prozess Zahlung an sich selbst, so kann er sich nicht auf das Sachverständigenkostenrisiko berufen. Er hat also beweisen, dass das abgerechnete Grundhonorar und die Nebenkosten tatsächlich erforderlich waren.
Und wenn nicht der Geschädigte selbst, sondern der beauftragte Sachverständige aus abgetretenem Recht gegen die Versicherung klagt? Auch das hat der Bundesgerichtshof entschieden: Der Sachverständige kann sich dann nicht auf das Sachverständigenrisiko berufen, sondern muss in dem Prozess beweisen, dass die abgerechneten Positionen erforderlich gewesen sind.
Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung weiter Klarheit geschaffen und die Position des Geschädigten gestärkt. Und noch etwas anderes hat der Bundesgerichtshof deutlich gemacht: Die aufgestellten Grundsätze zu dem Werkstatt-/Sachverständigenkostenrisiko gilt für alle (!) Mehraufwendungen der Schadenbeseitigung, deren Entstehung dem Einfluss des Geschädigten entzogen sind und die ihren Grund darin haben, dass die Schadenbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Diese Grundsätze sind deshalb etwa auch auf Abschleppkosten oder Hilfestellungskosten anzuwenden.